Veranstaltung: | 1. Außerordentlicher Landesdelegiertenrat LV Sachsen-Anhalt |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Aussprache zur Landesregierung |
Antragsteller*in: | Landesvorstand (dort beschlossen am: 19.01.2018) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 20.01.2018, 18:21 |
A1: Positionspapier zur Kenia-Koalition
Antragstext
Ein Drittel der Legislatur ist vorüber. Für die deutschlandweit einzigartige
Dreier-Koalition ist es – angesichts massiver und wiederkehrender Angriffe auf
das Projekt aus der CDU heraus – Zeit eine Zwischenbilanz zu ziehen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben sich zur Zusammenarbeit mit CDU und SPD bereit
gefunden, weil wir Verantwortung tragen, dem Rechtsruck ein Bollwerk
entgegenzusetzen. Verantwortung zu tragen und als demokratische Parteien zum
Wohle unseres Landes zusammenzuarbeiten, war und ist unser Ziel.
Doch der Zusammenhalt in der Kenia-Koalition bröckelt bedrohlich. Das beständig
unzuverlässige Verhalten einiger CDU-Abgeordneter gefährdet den Konsens der drei
Koalitionspartner und den Geist der Koalition. Schon die Wahl von Reiner
Haseloff zum Ministerpräsidenten gelang erst im zweiten Wahlgang. Immer wieder
sind Situationen eingetreten, in denen größere Teile der CDU-Fraktion im Landtag
entgegen der Vereinbarungen des Koalitionsvertrages mit der AfD stimmten: Bei
Einsetzung der Enquete Linksextremismus konnte die AfD Stimmen auch aus einem
Großteil der CDU-Fraktion verbuchen. Als die AfD unseren Parlamentarischen
Geschäftsführer Sebastian Striegel erst missbilligen und später aus der
Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) abwählen wollte, enthielt sich
zunächst ein Drittel der CDU-Abgeordneten. Im Abwahlverfahren stimmten
mutmaßlich mehrere CDU-Fraktionäre für den AfD-Antrag oder enthielten sich. Die
Abwahl Striegels scheiterte erwartbar am fehlenden Quorum. Eine eigene Mehrheit
der Mitglieder des Hauses brachte die Koalition aufgrund der abweichenden
Haltung der CDU jedoch nicht auf. Eben diese Mehrheit fehlte zunächst auch bei
der Wahl unserer Fraktionsvorsitzenden Cornelia Lüddemann zum stellvertretenden
Mitglied der PKK. Teile der CDU verweigerten sich dem Wahlvorschlag ihres
Koalitionspartners einzig, um die Koalition zu schwächen.
Einzelne Abgeordnete der CDU gefallen sich in regelmäßigen verbalen Angriffen
auf die grüne Regierungsarbeit. Tatsächliche Führungsarbeit der aktuellen
Partei- und Fraktionsspitze, diese Abweichler einzubinden, ist nicht erkennbar.
Die eklatante Führungsschwäche insbesondere innerhalb der CDU bringt die erste
schwarz-rot-grüne Koalition immer wieder an den Rand des Scheiterns.
Wir GRÜNE sind Stabilitätsanker der Koalition. Wir GRÜNE haben in den letzten
knapp zwei Jahren mehrfach unter Beweis gestellt, was es heißt, in einer
Koalition miteinander Verantwortung zu übernehmen. Wir verteidigen die Koalition
nach innen und außen. Wir finden – auch auf schwierigen Feldern z. B. im Zuge
des Weiterbaus der Autobahn 14 oder in der Innen- und Rechtspolitik –
Kompromisse, die tragen. Ökonomie und Ökologie sind für uns kein Gegensatz. Wir
GRÜNE denken Natur- und Artenschutz mit wirtschaftlicher Entwicklung unseres
Landes zusammen. Es war unsere Ministerin Claudia Dalbert, die einen Kompromiss
zwischen dem Erhalt von Feldhamsterpopulationen und der möglichen Ansiedlung von
Unternehmen in Sangerhausen vermittelte. Nur der angebliche Investor war
nirgends gesehen. Irritiert sind wir auch über Äußerungen des CDU
Generalsekretärs Sven Schulze, die Zuschüsse für Miteinander e. V. streichen zu
wollen. Angesichts des Einzugs der demokratiefeindlichen AfD in die Parlamente
Deutschlands brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Engagement – und damit
auch Ressourcen – für zivilgesellschaftliche Projekte!
Statt die gemeinsam im Koalitionsvertrag von allen drei Partnern festgehaltenen
Projekte mit Tatkraft anzugehen, wird nicht nur beim Planungsvorhaben in
Schierke versucht, vertragswidrig Druck auf uns GRÜNE aufzubauen. Der in Zeiten
der Klimakrise wahnwitzige, ökologisch fragwürdige und auch ökonomisch unsinnige
Ski-Zirkus in Schierke hat es aus guten Gründen nicht in den gemeinsamen
Koalitionsvertrag geschafft. Wir wissen, dass es in dieser Frage
unterschiedliche Ansichten zwischen CDU, SPD und GRÜNEN gibt. Wir GRÜNE wollen
Schierke entwickeln. Das kann nur gelingen, wenn die Natur im Harz in ihrer
Schönheit und Artenvielfalt erhalten bleibt. In der Regierungsarbeit hatten wir
uns darauf geeinigt, das Ergebnis des Gutachtens des Thünen-Instituts zu
akzeptieren. Mit Vorlage des Gutachtens ist klar: Eine Genehmigungsfähigkeit für
den Bau einer Seilbahn und Skipiste durch den Moorwald ist aktuell nicht
gegeben. Der Ball liegt nun beim Investor und dem von Minister Webel geführten
Ministerium für Verkehr und ländlicher Raum – seine Behörde muss das
Raumordnungsverfahren zügig abschließen. Dass der Ministerpräsident sich in der
untergeordneten Frage eines Flächentausches nun zur Ausübung seines
Weisunggsrechtes hinreißen lässt, zeigt, wie stark die zentrifugalen Tendenzen
in der CDU-Fraktion inzwischen sind und welchen Druck die Abweichler bei der CDU
inzwischen ausüben können. Die fehlende Führung bei der CDU gefährdet die
Zusammenarbeit.
All diese Vorgänge stellen die Arbeitsbasis unserer Koalition mit CDU und SPD
grundsätzlich infrage. Ein einfaches „Weiter so“ kann keine Antwort sein.
Das Fass ist voll und es liegt an der CDU, es am Überlaufen zu hindern. Wir
brauchen von der CDU ernsthafte Signale der Zuverlässigkeit. Wir wollen die im
Koalitionsvertrag niedergeschriebenen Projekte gemeinsam mit den
Koalitionspartnern umsetzen. In Zukunft muss es Standard werden, dass man sich
gegenseitig stützt – und nicht beharkt! - , um dieses Ziel zu erreichen.
Denn trotz aller Wirrungen haben wir gleichwohl einiges umsetzen können:
- der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft
- das Umweltsofortprogramm
- die Leitlinie Wolf und die Gründung des Kompetenzzentrums
- die Verbesserungen beim naturnahen Hochwasserschutz und der Moderationsprozess
an der Selke
- eine Radverkehrs-Koordinatorin für Sachsen-Anhalt, die Verdreifachung der
Ausgaben für den Radwegebau an Landesstraßen
- das Junglandwirte-Programm
- ein Ladeinfrastruktur-Konzept für E-Autos
- die Verbesserung der Situation für die Hebammen
- die individuelle Polizeikennzeichnung
- die Stärkung der kommunalen Demokratie
- die Wiedereinrichtung der Stelle der Landesbeauftragten für Frauen und
Gleichstellungspolitik
- die Einrichtung einer unabhängigen Koordinierungsstelle für LSBTTI*
- ein neues Finanzausgleichsgesetz und mehr Geld für die Kommunen
- die Schaffung neuer Stellen bei der Polizei und mehr Lehrerstellen an den
Schulen
- die Erhöhung der Grundfinanzierung der Hochschulen.
Das alles sind Beispiele dafür, was auch in schwierigen Koalitionen mit grüner
Beteiligung gelingen kann. Aber das ist noch nicht alles. Wir fordern neben der
oben erwähnten besseren Unterstützung der Zivilgesellschaft die gemeinsame
Umsetzung des Grünen Bandes, die Verstetigung des sehr erfolgreichen
Umweltsofortprogramms, um gerade an den kleinen Gewässern die Gewässerqualität
und den Artrenreichtum wieder herzustellen sowie Natur pflegen zu können, und
einen zeitlich befristeten Ausbau der Studienplätze für angehende Lehrer*nnen,
damit mittelfristig der Lehrer*innenmangel aus eigener Kraft behoben werden
kann. Bei der Einstellung von mehr Lehrer*innen müssen den Worten des
Bildungsministers endlich Taten folgen.
Wir wollen weiter Verbesserungen für Menschen und Umwelt in Sachsen-Anhalt
erreichen. Wir wissen, dass jeder Koalitionspartner sich wiederfinden muss. Doch
es braucht ein glaubwürdiges Signal der CDU, dass sie in Gänze mit uns den im
Koalitionsvertrag vereinbarten Weg gehen wollen.